„It´s all water under the bridge now” singt Gottfried Gfrerer im ersten, gleichnamigen Song seines neuen Albums. Es ist einiges Wasser unter vielen Brücken durchgeronnen, seit der am 2. November 1966 – dem Todestag des US-Blues Musikers Mississippi John Hurt – geborene Kärntner Musiker, Gitarrenbauer und –restaurator zuletzt ein Album veröffentlicht hat. Hurts Sager „Don´t You Die Until You´re Dead” liefert auch gleich die Geschichte für das abschließende Stück des Albums.
Nicht, dass Gfrerer, wiederholt von Auskennern als „bester Slide-Gitarrist Europas” bezeichnet, seit „Scoop & Run” (2009) untätig gewesen wäre. Er spielte als gefragter Sideman ebenso, wie er seine Obsession für die National-Resonatorgitarren der 1920/30er Jahre pflegte. Seine ausgewählten Solo-Konzerte erzeugten im Publikum regelmäßig starkes Interesse an neuem Gfrerer-Material, dieser ließ „die Sehnsucht nach Eigenem” gelassen wieder wachsen.
Ein Jahr lang hat, sich Gottfried David Gfrerer in ein altes unbewirtschaftetes Bauernwirtshaus in den Kärntner Nockbergen zurückgezogen – mit einem Dutzend National Resonatorgitarren aus den 1930-ern, Bleistift und Papier, sowie einem Handyrecorder. Herausgekommen ist dabei sein neues Soloalbum „Polychrome“.
Gfrerer hat die Songs in der alten Gaststube live aufgenommen. Geschrieben und eingespielt wurden die Stücke auf den sagenumwobenen Holz-Triolian-Gitarren der Firma National, die nur kurz 1928/29 in Los Angeles, Kalifornien gebaut wurden. Jedes Lied auf einer anderen Gitarre. Österreichs Grammy Juror und Spezialist für Gitarrensounds Eric Spitzer-Marlyn mischte die Aufnahmen, gemastert wurde anschließend von Kevin Nix in Memphis, Tennessee.
Im Titel „Polychrome“ spiegelt sich Gfrerers Musik wider: Ein genreübergreifender Klangkosmos zwischen Americana wie Blues, Hokum, Ragtime, Hawaii, Swing, frühem Jazz und europäischen Einflüssen wie britisch – keltischen Folk, aber auch Klassik mit den Farben des Impressionismus und der Melancholie des Kärntnerliedes. Er verwebt dabei in schlicht anmutender Virtuosität verschiedenste Spieltechniken von archaischen Slideklängen bis hin zu ausgeklügelten, modernen, polyphonen Fingerstyle – Arrangements. Gfrerer inszeniert damit sein Sammelsurium an zeitlosen Liedern im Soundgewand der 30-er Jahre mit einem Hauch von Italo Western in Cinemascope Format.
Seine Texte sind kleine und große Geschichten voller Bilder. Basierend meist auf Nebensätzen, wie Marlene Dietrichs „You never know ahead of time,“ Oliver Hardys „The smell of new – mown hay is in the air“ oder aber auch Shakespeares “Life is brittle” – es sind die Fußnoten des Lebens, die für ihn die Welt wirklich bewegen.
The wooden Triolians – eine Hommage an die vergessenen Gitarren“.
Nach dem Hawaii Musiker King Bennie Nawahi und dem „singing Cowboy“ Carl T. Sprague, wurde nun erstmals seit 1929 ein ganzes Album mit diesen Gitarren aufgenommen.
Weltgelassenheit und Welthaltigkeit
Wir begegnen alten Königen („Ancient Kings”), dem Großvater des Musikers, einem Holzknecht („Made By Hand”), dem zweifelhaft-zwielichtigen Sam Colt („Make Hay While The Sun Shines”) oder Sweet Emma Barrett, einem Musik-Original aus New Orleans, die im Film „Cincinnati Kid” mit Steve McQueen ihren Augenblick mit der Ewigkeit hatte („Sweet Emma, The Bell Girl”), und da huscht Gina Lollobrigida durch die Lyrics („Somebody Else”) – sie prägen „Polychrome” in seiner ganzen Vielfalt. Wir hören das gewachsene Selbstverständnis des Sängers Gottfried Gfrerer und wie dieses dem Gitarristen einen neuen Focus gibt, ihm einen neuen Rahmen spannt, in dem sich dessen Kunst noch einmal berührender, dringlicher entfalten kann. Geprägt von englischsprachiger – und wie er sagt – „archaischer” Musik, haben seine Songs hier endgültig eine zeitlose Qualität erreicht, sind offene Weltenbürger_innen, denen ihre Affinität, ihre Verwurzelung zu und in Europa und den USA (den jeweils „realen” und denen der Imagination) Charakter und Haltbarkeit verleiht.
Es sind Momentaufnahmen, lebenspralle Geschichten-Sprengsel, aufgeschnappte Sätze, wieder- und wieder reflektiertes Leben (eine spät zur Alkoholikerin gewordene Marlene Dietrich und ein gefallener Freund finden sich in „Somebody Else” verpackt), das nicht immer „leicht” ist und sein kann („Made By Hand” diesbezüglich ein Schlüsselsong), aus denen der Songwriter Gfrerer schöpft und baut, der nicht auf Pointen und Happy Ends vertraut. Es wird immer wieder eine lebensumarmende, durchdringende Gelassenheit in seinen Liedern freilegt oder freizulegen versucht. Was nichts mit Gleichgültigkeit oder Resignation zu den Monstrositäten in des Menschlein Leben zu tun hat, im Gegenteil, da sprechen die Antikriegslieder „#741” (eine Gitarren-Seriennummer …) wie „Abbeville” eine deutliche Sprache, mit „The Willow” kommt die Erdenmacht der Liebe nachdrücklich zu ihrem Recht.
Die Schönheit der Gitarre(n)
Der Titel des Albums „Polychrome“ schließlich – und jeder Song hat seine Gitarre – bezieht sich auf eine spezielle Art der Lackierung, mit der in den 1920/30er Jahren eine fast kitschige Art der Buntheit für die Resonator-Gitarren erschaffen wurde. Es mag im Kontext unserer unruhigen Zeit merkwürdig anmuten, dass diese Art der Schönheit möglich wurde, als sich die Welt auf einen ihrer heftigsten Brände zubewegte. Aber die Schönheit dieser Gitarren ist bis heute wieder zu finden, so wie sie immer noch und immer wieder gut zu klingen vermögen. Wie die neuen Songs von Gottfried Gfrerer.
Gottfried David Gfrerer
Aufgewachsen in Kärnten.
Lebt seit 1986 in Wien und Kärnten.
Nach Versuchen als Straßenmusiker begann Gfrerer in Clubs aufzutreten,
arbeitete als Studiomusiker und Front- und Sideman in diversen Formationen.
1990 lernte er den Kärntner Schriftsteller Bernhard C. Bünker kennen.
Vertonte dessen Kärntner Mundart Texte.
1992 erschien der Tonträger mit Buch „Karntn is lei a Grobschtan“.
1996 folgte die CD „Gottfried David Gfrerer“.
1999 wurde er vom irischen Fingerstyle-Gitarristen Eric Roche
nach London an das LMI als Workshopdozent eingeladen.
Im selben Jahr erschien Gfrerers Album „Stainless Steel“,
welches vom Concerto Magazin zum besten Singer/Songwriter-Album
des Jahres gewählt wurde.
1999 begann Gfrerer Resonatorgitarren zu erforschen, restaurieren
und selber zu bauen.
Auf seinem Soloalbum „Scoop & Run“ (2009) sind vor allem Gfrerers
selbst gebaute Resonatorgitarren zu hören.
Es folgten Projekte mit nationalen und internationalen Künstlern.
Seit 2016 tritt er ausschließlich solo auf.
Konzert:
Nächster Auftritt am 11. September im Wiener Metropol im Rahmen Johnny CashTribute – No Cash No Hope!
Hernalser Hauptstraße 55, 1170 Wien
Tel.: 01 / 407 77 407
Email: [email protected]
Album
Polychrome
Musik/Text/Gitarren/Stimme/Mundharmonika: Gottfried David Gfrerer Dauer: 48 Minuten/12 Titel
Vertrieb: Lotus Records
www.gottfriedgfrerer.at
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